Hamilton: today's homes
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Richard Hamilton Just what is it that makes today's homes so different, so appealing?
In einem Konversationslexikon von 1978 wird ›PopArt‹ auf folgende Weise definiert: »PopArt (amerikan.), neorealistische Kunstrichtung seit etwa 1960, dem Dadaimus verwandt, beschäftigt sich mit Objekten des Massenkonsums. Der Begriff PopArt wurde von L. Alloway geprägt.«
Lassen wir also den englischen Kunstkritiker und -theoretiker Lawrence Alloway selbst zu Wort kommen. Er äußerte sich, I966, in Lucy Lippards Buch über ›PopArt‹ folgendermaßen:
»Der Ausdruck ›PopArt‹ wird mir zugeschrieben, doch ich weiß nicht mehr genau, wann er das erste Mal gebraucht wurde. […] Ich benutzte den Begriff, ebenso wie ›Pop Culture‹, um die Produkte der Massenmedien zu kennzeichnen und nicht die Kunstwerke, für die Elemente dieser ›Volkskultur‹ Verwendung finden. Auf jeden Fall kam der Ausdruck irgendwann zwischen dem Winter 1954/55 und 1957 ins Gespräch.«
Zu genau dieser Zeit hat auch der englische Maler Richard Hamilton (geb. 1922) den Begriff ›Pop‹ erstmals verwendet. 1956 ist seine Collage ›Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?‹ entstanden, ein kleinformatiges Klebebild mit dem ungewöhnlichen Titel ›Was nur macht moderne Wohnungen so anders, so anziehend?‹.
Fragen wir also mit Hamilton, was denn so attraktiv an dem Bild ist, was die abgebildete Wohnung so anziehend, so besonders macht!
Das Bild gewährt Einblick in einen Wohnraum der fünfziger Jahre mit einer für die Zeit typischen und damals ›modernen‹ Ausstattung, mit einer Sitzgruppe aus Sesseln, Couch, Couchtisch, Zimmerpflanze, Stehlampe und Fernsehtruhe. Das Wohnzimmer ist durchsetzt mit den Bildern der verschiedensten Medien: Auf dem Bildschirm lächelt ein strahlendes Mädchengesicht, vielleicht irgendeine Werbebotschaft verkündend. Auf dem Boden im Vordergrund wird mitten im Raum ein für die damalige Zeit hochmodernes Tonbandgerät zur Schau gestellt. Ein großes Fenster gewährt Ausblick auf eine Kinoreklame an der Fassade gegenüber. An der Rückwand hängt ein kunstvoll gerahmtes Porträt, daneben ein Comic-Poster mit der Bildromanze ›True Love‹. Auf dem Lampenschirm prangt eine Auto-Reklame für Ford, auf der Sessellehne links vorn liegt eine Ausgabe der ›Financial Times‹. Auf dem Tischchen steht zwischen Kaffeegeschirr eine überdimensionierte Konservendose, deutlich lesbar beschriftet mit ›Ham‹, also ›Schinken‹. Auf dem Fernseher steht eine Obstschale.
Auf dem Sofa rechts räkelt sich aufreizend eine fast unbekleidete junge Frau, der Typ eines Pin-up-Girls, den Kopf grotesk ›behütet‹ wie von einer Trockenhaube im Friseursalon. Auf der Treppe ins Obergeschoß demonstriert eine zweite junge Frau häusliche Sauberkeit – durch die besonderen Qualitäten ihres Staubsaugers; ein einmontierter Werbetext mit einem Pfeil behauptet: ›Ordinary cleaners reach only this far‹ (Gewöhnliche Staubsauger reichen nur bis hierhin).
Der dunkel gemusterte Teppich im Hintergrund entpuppt sich als das Strand-Foto einer dicht gedrängten Menge von Badenden, stilisiert zu einem ›Ornament der Masse‹.
Über dem Innenraum ist auf der nur knapp angeschnittenen Decke ein wolkiger Himmel zu erkennen, ein aus großer Höhe von einer Rakete aufgenommenes Foto des Erdballs mit gekrümmtem Horizont. Dieses verkürzte und durch seinen knappen Anschnitt eher versteckte Deckenbild des irdischen Horizonts überwölbt den Innenraum und erweckt, wenn man es überhaupt entschlüsselt, den Eindruck eines gemalten ›Himmelsgewölbes‹.
In einer solchen dem Anschein nach ein ganzes ›Welt-Bild‹ enthaltenden Collage muß die aufgeblasene Monumentalisierung eines banalen ›Dauerlutschers‹ umso befremdlicher wirken, nicht minder die Ansammlung und teils demonstrative Zurschaustellung all der anderen alltäglichen Gegenstände. Ebenso deplaziert erscheinen dieser lächerliche Superman und das Glamour-Girl in dem ansonsten eher spießig trauten, bürgerlichen Heim, vollgestopft mit den Errungenschaften moderner Haushaltstechnik, Symbolen des wirtschaftlichen und zivilisatorischen Fortschritts, Fetischen des Konsums und dem Tand und Tingeltangel des Nachkriegs-Wirtschaftswunders. Auch der Sportsmann und der Filmstar verkörpern werbliche Idealbilder: Schönheit, Jugend und käuflichen Lebensgenuß.
Das Bild ist eine Collage, also ein aus lauter Einzelteilen und Bildfragmenten unterschiedlicher Herkunft montiertes Klebebild. Es setzt sich zusammen aus Bruchstücken verschiedener Bildgeschehen, in Farbe oder auch schwarz-weiß, mit perspektivischen, maßstäblichen und erzählerischen Sprüngen. Die Bildfragmente sind den verschiedensten Vor-Bildern entnommen, aus Zeitungen und Zeitschriften, Comics, Werbebroschüren und ähnlichen Druckerzeugnissen, wobei Hamilton sich überwiegend aus der Sammlung amerikanischer illustrierter Magazine seines Mitarbeiters John McHale bediente. Alle Teile sind sehr sauber und genau ausgeschnitten, wie ein Puzzle neu zusammengesetzt und mit kaum sichtbaren Schnitt- und Stoßkanten paßgenau an- bzw. übereinandergeklebt. Das sorgfältig komponierte Klebebild täuscht eine fast perfekte, stimmige Bildeinheit vor.
Tatsächlich aber beläßt es die aneinanderreihende Montage der Bildfragmente bei einer additiven Aufzählung von Einzelteilen und ergibt – dem ersten Anschein zum Trotz – keinen neuen, übergreifenden Sinnzusammenhang. Eine überzeugende Klammer zwischen den Gegenständen und Fragmenten ist allein die ihnen gemeinsame Fremdheit, ist die Willkür ihres Nebeneinanders, die sie indes nicht aus ihrer formalen und inhaltlichen Isolierung zu befreien und wirklich zusammenzuführen vermag.
Die Äußerlichkeit, Beziehungslosigkeit und Banalität der Personen und Gegenstände verleihen dem Bild allerdings auch eine zeitkritisch reflektierende Dimension, indem die Oberflächlichkeit, Beliebigkeit und die innere Zusammenhanglosigkeit der in dem Bild eingeschlossenen kleinen Bildersammlung sichtbar gemacht und zum Prinzip erhoben werden.
Jürgen Zänker, in: Monika Wagner (Hrsg.) Moderne Kunst, Bd. 2, Reinbeck bei Hamburg 1996, S. 552ƒƒ