Aktuelles Zeitgeschehen im Werk Hannah Höchs
Das aktuelle Zeitgeschehen ist in Hannah Höchs Arbeit stets präsent. Eines ihrer ersten Werke war beispielsweise: »Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands« (siehe oben). Dieses Werk kombiniert Zeitungsbilder der damaligen Zeit, um eine neue Aussage über das Leben und die Kunst im Dadaismus zu treffen. Bei genauerer Betrachtung der Fotomontage werden vier grosse Themen deutlich: ➼ Militär bzw. Politik, ➼ Wissenschaft, ➼ Industrie und ➼ Revolution. Diese realen Themen werden ohne kausalen und logischen Zusammenhang dargestellt. Somit ist Hannah Höchs Mittel das Chaos, um ihrer Kritik an der damaligen Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. (Quelle: kunstimunterricht.de)
›Der Schnitt mit dem Küchenmesser Dada
durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands‹
Im Format die größte Fotomontage Hannah Höchs aus der Frühzeit, vereinigt dieses Werk eine verblüffende Vielfalt von Personengruppen verschiedenster Art und bietet tatsächlich einen Querschnitt durch die Gesellschaft der Kriegs- und Nachkriegszeit: Von den Machthabern des Kaiserreiches zu den Politikern der Republik, von Wissenschaft, Theater, Literatur und Film bis zu den Berliner Dadaisten. In diesem Hauptwerk zeigt sich, welche souveräne Handhabung des Mittels Fotomontage die Künstlerin damals erreicht hatte. Über einem leicht rosa und gelblich gefärbten Japanpapier als einheitlichem Grund – im oberen Teil wird auch blau verwendet – ballen sich rechts oben die ironisch als ›Anti-dadaistische Bewegung‹ Apostrophierten: Wilhelm II. [= von 1888 bis 1918 letzter Deutscher Kaiser und König von Preußen], dessen martialischen [kriegerisch, Furcht einflößend] Schnurrbart zwei Ringer formen, die Generäle und der Kronprinz. Dominierend an Größe, blickt der Kopf Einsteins auf das Getriebe der Zeit in seiner Überlegenheit kaum beeinträchtigt durch anmontierte Maschinenteile und eine Heuschrecke als Zeichen der Natur, die über seine Stirn kriecht. Neben ihm zweimal Ebert [erster Reichspräsident der Weimarer Republik] als Redner und in Pascha-Pose.
Zwischen den Figurengruppen einige heiter-übermütige Intermezzi [Zwischenspiele], so im Zentrum die Tänzerin Niddi Impekoven, die den Kopf der Käthe Kollwitz [deutsche Grafikerin, Malerin und Bildhauerin] balanciert. Über der Massenversammlung links unten schwebt Mechthild Lichnowsky [deutsche Schriftstellerin], gefährdet durch ein gewaltiges Kugellager. Auf der rechten Seite leiten die Köpfe Else Lasker-Schülers [deutsch-jüdische Dichterin] und Max Reinhardts [österreichischer Theater- und Filmregisseur] über zum Kreis der Dadaisten. Die Massivität Theodor Däublers [österreichisch-deutscher Schriftsteller] wird durch einen fetten Babykörper mit aufmontiertem Dichterhaupt exemplifiziert, weiter links – als skurrile Dreifaltigkeit – Oberdada Baader zwischen Lenin [Revolutionär und Begründer der Sowjetunion] und Radek [Gründungsmitglied der KPD]. Auf gedrungenem Roboterleib das schreiende Gesicht Raoul Hausmanns [Dadaist], einerseits flankiert von einem Doppelporträt George Grosz’ [Dadaist] als Tänzerin, andererseits von John Heartfield [Dadaist], den Niddi Impekoven [Tänzerin] in der Badewanne wäscht. An der rechten Bildkante steigen Wieland Herzfelde [Verleger] und Asta Nielsen [dänische Schauspielerin] empor. Links davon neigt sich Pola Negri [polnische Schauspielerin] dem bärtigen Gesicht Baaders [Dadaist] zu, und zwischen den Buchstaben »Dadaisten« entdeckt man den winzigen Kopf Hannah Höchs neben dem Profil Hausmanns. Ganz unten Walter Mehring [deutscher Schriftsteller] neben einer Europakarte. Kugellager und Zahnräder, Autos, Lokomotiven und Flugzeuge durchqueren dieses monumentale Kaleidoskop, in dem Maßstäbe und räumlichzeitliche Logik aufgehoben sind zugunsten einer rasselnden, wirbelnden Präsenz zeittypischer Bewußtseinsinhalte. Burleske, Protest, dämonischer Übermut angesichts einer von Katastrophen geschüttelten Gesellschaft. [Erläuterung: Dieses optische SimultanGedicht spiegelte gewiss das Berlin-Klima der Nachkriegszeit.]
Diese monumentale Fotomontage bildete einen Schwerpunkt auf der Internationalen Dada-Messe des Jahres 1920, zu der die Berliner Veranstalter alle Dadaisten aus dem Rheinland, der Schweiz, aus Paris, Holland und Belgien eingeladen hatten: Max Ernst und Baargeld aus Köln, Rudolf Schlichter aus Karlsruhe, H. Stuckenschmidt aus Magdeburg, Otto Dix aus Dresden, Hans Citroen aus Amsterdam, Otto Schmalhausen aus Antwerpen, Hans Arp aus Zürich, Francis Picabia aus Paris. Hannah Höch zeigte hier außerdem zwei heute verschollene Materialmontagen, mit den ironischen Titeln: ›Mechanisches Brautpaar‹ und ›Die Diktatur der Dadaisten‹. Eine dieser Montagen ist auf dem bekannten Foto von ihr und Raoul Hausmann in der Ausstellung zu erkennen. (Quelle: Hannah Höch, Ausstellungskatalog, Nationalgalerie Berlin)
Hannah Höch, Dada-Rundschau, 1919 Collage, Gouache und Aquarell auf Karton |
›Dada-Rundschau‹
Als Parodie auf den „gigantischen Weltunsinn“ hat Hannah Höch, einzige Frau unter den Berliner Dadaisten, dieses Klebebild 1919 aus Illustriertenfotos und Textfragmenten zusammengefügt. Sie stammen aus der ›Berliner Illustrirten Zeitung‹, einem Massenblatt, das über große Politik genauso wie über Stars und Sternchen oder alltägliche Ereignisse berichtete. Für die Künstlerin bot sich hier eine wahre Fundgrube, um Material für ihre grotesk verfremdenden Fotomontagen zu sammeln.
In der Mitte dieses Kaleidoskops aus Wörtern und Fotografien steht der frisch gewählte Reichspräsident Friedrich Ebert in Badehosen. »Gegen feuchte Füße« trägt er allerdings schwarze Lederstiefel. Sieht so eine Respektsperson aus? Genau über ihm schwebt am oberen Bildrand der amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Woodrow Wilson als Friedensengel – immerhin befand sich Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg mitten in schwierigen Reparationsverhandlungen mit den Siegern. (Quelle: Berlinische Galerie)
Weitere Informationen zum Bild. ➜ Link
In den Vorgaben für den Abiturjahrgang 2020 ist folgendes Thema zu finden:
›Künstlerische Verfahren und Strategien der Bildentstehung in individuellen und gesellschaftlichen Kontexten – in kombinatorischen Verfahren bei Hannah Höch‹.
Mit ›kombinatorischen Verfahren‹ sind ihre Collagen gemeint, in denen sie vorgefundene Materialien miteinander kombiniert. Doch kombiniert sie nicht nur Fotos und Zeitungsausschnitte. Sie fügt in ihren Arbeiten auch Wahrnehmungen der Welt zusammen. Eine Tänzerin trifft den Kaiser trifft den Revolutionär trifft den Theaterregisseur trifft den Dadaisten in einem Bild. In einem der Texte oben heißt es: »Somit ist Hannah Höchs Mittel das Chaos, um ihrer Kritik an der damaligen Gesellschaft Ausdruck zu verleihen.«
Aufgabe:
Erstellen Sie eine Bild-/Text-Collage (A 3) zu dem Thema
›Herbst 2020 – ein Abbild der Gesellschaft‹.
Achten Sie darauf, dass es nicht allein auf inhaltliche Bezüge ankommt.
Ebenso wichtig ist es, formal gute Lösungen zu finden.
Die Arbeit soll durchkomponiert, ästhetisch gut konstruiert sein.
In einem anderen Post in diesem Blog zum Thema Höch-Collagen heißt es:
»Bei aller Turbulenz zeitbezogener Details dominiert jedoch eine Ordnung der Bildelemente.«
Geben Sie Ihre Arbeit bis zum 23.11.2020 bei Herrn Schlüter ab.