Eine Welt im Umbruch – Kunst in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts

 

Hanah Höch, Der Strauß, 1929

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn man sich mit der Kunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt – und das werden wir in dieser Unterrichtsreihe tun – ist es sinnvoll, sich über gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen zu informieren, die im Kontext des Kunstbetriebs stehen.

Im Expressionismus, etwa ab 1905, wurde der Bruch mit traditionellen Kunstauffassungen vollzogen, der sich schon einige Jahrzehnte zuvor angedeutet hatte. Die Darstellung des Erlebten wird zum Ziel der Kunst, nicht mehr die Darstellung der sichtbaren Welt. Es bleibt jedoch nicht beim Ausdruck (= lat. expressio) von Gefühlswelten; oft kommt starke Kritik an gesellschaftlichen Zustaänden hinzu. »Darin wird ein Destruktionswille erkennbar, der sich gegen ein dekadent-erschlafftes und wohlanständiges Bürgertum der Wilhelminischen Epoche wie auch gegen die Genussästhetik des Impressionismus und Jugendstils wendet, …« wikipedia


 

Was ist wirklich?

Künstlerinnen und Künstler beginnen die Welt mit ganz anderen Augen zu sehen. Der Grund liegt nicht nur in veränderten ökonomischen Bedingungen für den Berufskünstler – mit der Erfindung der Fotografie stand ein realiv preiswertes und einfaches Verfahren zur Verfügung, Bilder der realen, sichtbaren Wirklichkeit herzustellen. Ebenso ist die oben angesprochene Tendenz, das selbst Erlebte, Gefühlte zum Ausdruck bringen zu wollen, keine hinreichende Erklärung.

Als weitere Erklärung muss herangezogen werden, dass sich die Menschen in dieser Zeit von der Vorstellung verabschieden mussten, dass die Welt grundsätzlich erkennbar ist, dass man – genügend Wissbegierde, Fleiss und Intelligenz vorausgesetzt – wissen kann, was Realität und Wahrheit ist. 

 

Relativitätstheorie

So stellte Albert Einstein 1905 die Grundlagen der ›speziellen Relativitätstheorie‹ vor, die zehn Jahre später, mit der ›allgemeinen Relativitätstheorie‹ erweitert, die bisherigen Vorstellungen von Raum und Zeit völlig in Frage stellten. Man kann sich das an einem Detail verdeutlichen: Nehmen wir an, ein Mensch ist Astronaut und reist in den Weltraum. Sein Zwillingsbruder bleibt auf der Erde zurück. Der Astronaut bewegt sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit und kehrt nach seiner eigenen Wahrnehmung und Realität nach einem Jahr zur Erde zurück. Abhängig von der exakten Reisegeschwindigkeit und Dauer der Reise ist sein Zwillingsbruder auf der Erde möglicherweise 30 Jahre älter geworden. Diese – auch heute für uns – absurd erscheinende Situation wurde wenige Jahre nach Aufstellen der Theorie durch Experimente bewiesen.

Quantenphysik

Niels Bohr stellte 1918 die Grundlagen der Quantenphysik vor, nach der in sehr kleinen Systemen, z.B. auf atomarer und molekularer Ebene, der Ort, an dem ein Ding sich befindet, nicht eindeutig bestimmbar ist. Selbst bei extrem genauer Messung kann lediglich die Wahrscheinlichkeit angegeben werden, wo das zu messende Objekt sich befindet.

Psychoanalyse

Die von Sigmund Freud zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgestellte Psychoanalyse stellt den freien Willen, die bewusste Wahrnehmung und Steuerung des eigenen Selbst in Frage. Vielmehr stellt sich die Persönlichkeit als Produkt eines Konfliktes zwischen Bewusstem und Unbewusstem dar. In dieser Theorie kommt dem Traum eine große Bedeutung zu. Dieser ist nicht einfach nur nächtlich erlebter Unsinn, sondern nach Freud »der Königsweg zum Unbewussten«

 

Neben diesen wissenschaftlichen Revolutionen, die die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen grundlegend in Frage stellten, war es die Erfahrung ungeheurer gesellschaftlichen Verwerfungen, die die Menschen erschütterten. Im 1. Weltkrieg, der von 1914 bis 1918 dauerte, standen 70 Millionen Menschen unter Waffen, etwa 17 Millionen starben. 






 

Die Informationen werden genügen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, dass die Sicht auf die Welt eine völlig andere geworden ist, obwohl man noch weitere Beispiele nennen könnte. 

 
Für viele Menschen würde das Leben nie wieder so sein, wie es zuvor war. Künstlerinnen und Künstler reagierten darauf sehr sensibel – griffen neue Themen auf und experimentierten mit neuen Techniken und Materialien. 
 
Der Expressionismus hatte sich als Gegenbewegung zur etablierten Kunst verstanden. Kein Mitglied der wichtigen Expressionistengruppe ›Brücke‹ hatte eine malerische Ausbildung, die zweite Gruppe ›Der Blaue Reiter‹ bezog sich auf die »Primitiven«, »Afrika« und den »großen Orient« sowie die »so ausdrucksstarke ursprüngliche Volkskunst und Kinderkunst«.

Die Expressionisten wurden dann jedoch von Künstlern, die sich 1916 unter dem Namen ›Dada‹ zusammenschlossen, als verknöchert, bürgerlich und bieder empfunden. Die Dadaisten schrieben in ihrem Manifest (öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten): 
 
Der Expressionismus, der im Ausland gefunden, in Deutschland nach beliebter Manier eine fette Idylle und Erwartung guter Pension geworden ist, hat mit dem Streben tätiger Menschen nichts mehr zu tun. Die Unterzeichner dieses Manifests haben sich unter dem Streitruf DADA ! ! ! ! zur Propaganda einer Kunst gesammelt, von der sie die Verwirklichung neuer Ideale erwarten. 

Die Dadaistengruppen waren nur etwa zehn Jahre lang in der Kunstszene aktiv. Diese zehn Jahre prägten und veränderten die Auffassung, was denn Kunst sei, bis heute nachhaltig. Einige der Dadaisten schlossen sich Mitte der zwanziger Jahre einer Künstlergruppe an, die sich in Frankreich gegründet hatte, die Surrealisten. Auch die Surrealisten hatten das Ziel, traditionelle, bürgerliche Normen in Freage zu stellen. »Im Unterschied zum satirischen Ansatz des Dada werden gegen die herrschenden Auffassungen vor allem psychoanalytisch begründete Theorien verarbeitet. Traumhaftes, Unbewusstes, Absurdes und Phantastisches sind daher Merkmale der literarischen, bildnerischen und filmischen Ausdrucksmittel. Auf diese Weise sollen neue Erfahrungen gemacht und neue Erkenntnisse gewonnen werden.« wikipedia

Wir werden uns in dieser Unterrichtsreihe mit Dadaismus und Surrealisten beschäftigen. Dabei werden Hannah Höch und Max Ernst im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen.