Hintergrundwissen: Die Psychoanalyse
In diesem Post soll Hintergrundwissen vermittelt werden, um Surrealismus und surrealistische Kunstwerke verstehen zu können.
Surrealismus
bezeichnet eine geistige Bewegung, die sich seit den 1920er Jahren als
Lebenshaltung und Lebenskunst gegen traditionelle Normen äußert. Sie
findet bis in die Gegenwart sowohl philosophisch als auch in den Medien,
Literatur, Kunst und Film ihren Ausdruck. [Dabei werden] …
vor allem psychoanalytisch begründete Theorien verarbeitet.
Traumhaftes, Unbewusstes, Absurdes und Phantastisches sind daher
Merkmale der literarischen, bildnerischen und filmischen
Ausdrucksmittel. Auf diese Weise sollen neue Erfahrungen gemacht und
neue Erkenntnisse gewonnen werden. wikipedia
Psychoanalyse
Die Psychoanalyse wurde von Sigmund Freud (1856 - 1939) entwickelt. Aufgrund eigener Kindheitserlebnisse und durch Erfahrungen, die er in seinem Beruf als Arzt sammeln konnte, stellte er eine Theorie über die menschliche Psyche auf, mit deren Hilfe man in der Lage war, psychische Erkrankungen zu erklären und zu behandeln.
• Triebe
Als starke psychische Kräfte steuern, nach Freud, die Triebe den Menschen. Unter den Trieben sind der Sexual- oder Lebenstrieb (Eros; Energie des Sexualtriebs - Libido) und auf der anderen Seite der Destruktions- oder Todestrieb (Thanatos) die stärksten. Den Schwerpunkt seiner Untersuchungen legte Freud auf den Sexualtrieb.
• Es, Ich, Über-Ich
Das menschliche Verhalten führte Freud auf die Wechselbeziehungen zwischen drei in unserer Psyche wirksamen Instanzen zurück. [siehe Grafik oben] Das Es repräsentiert die angeborenen, primitiven, biologischen Triebe; sein Ziel ist die bedingungslose Befriedigung der Lust. Demgegenüber stellt das Über-Ich die moralischen Normen der Gesellschaft dar, die durch Erziehung und Sozialisation erworben werden. Diese beiden Instanzen, Es und Über-Ich, liegen in einem ständigen Konflikt, der durch die Mittlerrolle des Ich aufgefangen wird. Das Ich ist somit das Resultat des Konfliktes, in dem der Mensch zwischen totaler egoistischer Lustbefriedigung und vollkommener Fremdkontrolle sein praktisches alltägliches Leben gestaltet.
Ein Beispiel: Ein Mann geht durch einen Supermarkt und sieht Waren, die er dringend benötigt. Er weiß aber, dass er das für den Kauf erforderliche Geld nicht zur Verfügung hat. In ihm wächst der Drang, einige dieser Waren an sich zu nehmen, ohne dafür zu bezahlen.
Folgende Konflikte innerhalb des psychischen Apparates ergeben sich damit:
• Das Es drängt den Mann zur Bedürfnisbefriedigung und damit zum Diebstahl;
• Das Über-Ich erklärt: 'Du darfst nicht stehlen! Ladendiebstähle sind strafbar!'
• Das Ich steht vor einer schwierigen Abwägung.
Für den Notfall schweren, nicht anders stillbaren Hungers wird das Ich geneigt sein, den Diebstahl z. B. von Lebensmitteln im Sinne eines Mundraubes zu billigen. Ansonsten wird es auf die drohenden Gefahren verweisen und den ins Auge gefassten Diebstahl eher verhindern: 1. die mögliche strafrechtliche Verfolgung bedeutet reale Nachteile, die den kurzfristigen Gewinn des Diebstahles bei Entdeckung weit überwiegen können (Realitätsaspekt); 2. das Über-Ich wird den Diebstahl mit Schuldgefühlen quittieren; 3. für den Fall der Entdeckung wird sogar das ursprünglich anstiftende Es mit Schamgefühlen reagieren und das Ich ähnlich wie die Schuldgefühle in Bedrängnis bringen.
• Vier Phasen der Lust
Nach Freud durchlebt jeder Mensch in seiner Kindheit vier Phasen, die in engem Zusammenhang mit der Interaktion zwischen Es, Ich und Über-Ich stehen. In der oralen Phase (1.-2. Lebensjahr) erfährt der Säugling Befriedigung durch den Mund und die Nahrungsaufnahme. Im 3. und 4. Lebensjahr richtet sich die Aufmerksamkeit der Eltern auf die Sauberkeitserziehung. Dadurch konzentriert sich die Möglichkeit, Lust zu erfahren, auf die Ausscheidungsorgane. Freud spricht von der analen Phase. Es schließt sich die phallische Phase (5. - 6. Lebensjahr) an, in der Kinder ihre Geschlechtsorgane als Lustquelle entdecken und grundlegende Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht werden. Freud glaubt, entdeckt zu haben, daß in dieser Phase sich Jungen in ihre Mutter verlieben und den Vater als Rivalen empfinden, den sie am liebsten töten möchten. In Anlehnung an die griechische Sage spricht Freud vom Ödipus-Komplex. Mädchen sollen sich dementsprechend zum Vater hingezogen fühlen und Haß auf die Mutter entwickeln (Elektra-Komplex). Nach Durchleben dieser für die Entwicklung einer »normalen« Sexualität notwendigen Phase ruhen nach Freud die sexuellen Bedürfnisse in der Latenz-Phase bis zur Pubertät.
• Verdrängung und Unterbewußtsein
Viele psychische Probleme des Erwachsenen lassen sich auf Störungen in der Entwicklung in den ersten Lebensjahren zurückführen; hier liegen Gründe für die später zwischen Es, Ich und Über-Ich auftretenden Konflikte. Die Psyche greift zu einer Art »Selbstschutz«, indem sie Erlebnisse und Begriffe, die der Mensch unter dem Einfluß des Über-Ichs nicht ausleben und denken darf, verdrängt. In der Verdrängung werden Bewußtseinsinhalte in eine andere Ebene, das Unterbewußtsein, transportiert. Das Unterbewußtsein wird so zur Sammelstelle für verdrängte emotionale Erfahrungen, für Lust- und für Triebregungen. Da die psychischen Energien, wenn sie sich auf der Ebene des Unterbewußtseins befinden, nicht etwa verschwunden sind, sondern »im Verborgenen arbeiten«, können die verdrängten Triebregungen weiterhin zu psychischen Störungen führen.
Ein Beispiel dafür ist die 24jährige Elisabeth von R. Diese Patientin litt seit zwei Jahren an einer Gehstörung, die allen Behandlungsversuchen getrotzt hatte. Um den nachfolgend beschriebenen Konflikt zu verstehen, muss man die Situation der Beziehung zwischen Mann und Frau Ende des 19. Jahrhunderts bedenken und die prüde Einstellung der damaligen Gesellschaft. Die Patientin war dem Mann ihrer kranken Schwester innerlich sehr nahe gekommen, sie verspürte den Wunsch, einen Ehegatten wie ihn zu haben. Am Abend, nach einem Spaziergang mit dem insgeheim geliebten Schwager, war die schmerzhafte Gehstörung aufgetreten. Sie verschlimmerte sich angesichts der für die Patientin immer deutlicher spürbaren Sympathie für deren Schwager. Als ihre Schwester einer Krankheit erlag, hatte sie im Schmerz darüber der Gedanke beschäftigt: ›Jetzt ist er wieder frei und ich kann seine Frau werden.‹ Diese Erinnerungen berichtete sie in den psychotherapeutischen Stunden.
Singer, K.: Kränkung und Kranksein, München 1988
• Psychoanalyse als Therapie
Die Methode, bei solchen Störungen zu helfen – und genau das ist die Psychoanalyse –, besteht darin, die verdrängten Erfahrungen und Triebregungen bewußt zu machen und dem Patienten zu vermitteln, daß alle Menschen über solche Erfahrungen und Triebe verfügen. Nach Freud ist der Übergang zwischen Normalität und Abnormität fließend und der Hauptunterschied zwischen beiden liegt darin, daß die Konflikte des »nicht-normalen« Menschens nicht gelöst wurden und so zu fehlangepaßtem Verhalten führten.
• Traum
Um diese Hilfe leisten zu können,
muß der Analytiker dem Patienten verdrängte Inhalte des Unterbewußtseins
bewußt machen. Dies geschieht mit den Techniken der Traumdeutung und
der freien Assoziation, da im Schlaf die strenge Zensur des Über-Ich
zumindest so weit ausgeschaltet ist, daß das Unterbewußtsein sich in
Form verschlüsselter, traumhafter Bilder voller Symbole mitteilen kann.
Diese Bilder können durch assoziativer Gespräche auf ihre eigentlichen
Bedeutungen zurückgeführt werden. In der klassischen Psychoanalyse liegt der Patient dabei entspannt auf einer Couch, der Analytiker sitzt abseits.
• Kritik
Schon zu seinen Lebzeiten waren Freud und seine Theorie heftiger Kritik ausgesetzt, die teilweise von seinen eigenen Schülern formuliert wurde. Zweifellos ist es das große Verdienst Freuds, auf seelische Phänomene und Konflikte sowie deren mögliche Lösungen aufmerksam gemacht zu haben. Seine Theorie hat sich vielfach bewährt, ist aber auch konstruktiv weiterentwickelt worden. Eine kritische Einschätzung muß vor allem die typisch männliche Sicht eines Mitteleuropäers Anfang des 20. Jahrhunderts, die in die Theorie eingeflossen ist, thematisieren.
Darstellung der Psychoanalyse nach: warum!, August 1976
In der Literaturwissenschaft sowie in der Kunstwissenschaft gibt es einige produktive Ansätze, mit deren Hilfe man Texte, Kunstwerke durch psychoanalytische Methoden erklären kann. Der Surrealismus nimmt eine Sonderstellung ein – die Surrealisten haben selbst immer wieder erklärt, dass sie sich direkt auf Freud und die Psychoanalyse beziehen.
Aufgabe:
Lesen Sie die Informationen. Fassen Sie in fünf Sätzen zusammen, ob Ihrer Meinung nach die Psychoanalyse bei der Produktion und Interpretation von Kunstwerken gewinnbringend eingesetzt werden kann. Sollten Sie dies bejahen, versuchen Sie dies in Ihrem Text an einem Beispiel zu erläutern. Sind Sie nicht dieser Meinung, begründen Sie dies in Ihrem Text.
Senden Sie mir Ihren Text per mail bis zum 22.11. zu. ➜ link
Zusatz:
Wenn Sie das Thema interessiert, können Sie sich ein Video von MrWissen2go über Sigmund Freud ansehen.