Der Hausengel – in einer in Trümmern liegenden Welt

Max Ernst, Der Hausengel, 1937, Öl/Leinwand, 53 x 73 cm

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

Die Themen und Sujets von Max Ernsts Arbeiten haben, bei aller individuell geprägten Bilderfindung, immer auch eine politische Dimension. Kulturkritik als Entlarvung bürgerlicher Wohlanständigkeit, Benutzung von altehrwürdigen, teils biblischen, teils mythologischen Sujets in neuen profanen und banalen Zusammenhängen, all das sind Strategien zur Entschlackung abendländischer Bildtraditionen, die Max Ernst wie ein kluger Regisseur einsetzt, um Platz für eine neue Wahrnehmung und Raum für veränderte Bewußtseinsstrukturen zu schaffen. 

Diese insgesamt aufklärerische Tendenz seiner Arbeiten hat selten einen so konkreten politischen Zusammenhang wie in der aus drei Fassungen bestehenden Folge ›Der Hausengel‹ von 1937. Bei der oben abgebildeten Version sieht man ein riesiges Vogel-Drachen-Wesen über einer grünen Ebene, wie es gerade zu einem fürchterlichen Sprung angesetzt hat und schon in der Luft schwebt. Am linken Bildrand sieht man den Vogel Loplop, wie er versucht, dem Monster Einhalt zu gebieten. Max Ernst hat sich über den Sinn dieser Darstellung später geäußert: »Ein Bild, das ich nach der Niederlage der Republikaner in Spanien* gemalt habe, ist der Hausengel. Das ist natürlich ein ironischer Titel für eine Art Trampeltier, das alles, was ihm in den Weg kommt, zerstört und vernichtet. Das war mein damaliger Eindruck von dem, was in der Welt wohl vor sich gehen würde, und ich habe damit recht gehabt.« 

* Der Spanische Bürgerkrieg wurde in Spanien zwischen Juli 1936 und April 1939 zwischen der demokratisch gewählten Regierung (›Republikanern‹) und den rechtsgerichteten Putschisten unter General  Franco (›Nationalisten‹) ausgetragen. Der faschistische General Franco erhielt Unterstützung der beiden faschistischen Regime in Italien unter Mussolini und in Deutschland unter Hitler, was zum Sieg Francos führte. Diesem Sieg folgte das Ende der Republik in Spanien und eine bis zum Tode Francos 1975 anhaltende franquistische Diktatur. Indirekt war mit diesem Krieg auch der Weg zum von Deutschland angezetteltem II. Weltkrieg beschritten.

Das Bild hatte für kurze Zeit 1938 den Titel ›Der Triumph des Surrealismus‹ bekommen. Man kann demnach interpretieren, daß es sich bei dem kleinen grünen Wesen um Loplop handelt, den Repräsentanten des Surrealismus, der da in seiner Ohnmacht dargestellt ist. Er versucht, den viel größeren Würgeengel, den Faschismus, an seinem Tun zu hindern. Vor dem Hintergrund dieser Anspielung auf den spanischen Bürgerkrieg läßt sich die Landschaft auch als spanische Hochebene mit leicht mit Schnee bedeckten Gebirgszügen im Hintergrund erkennen. Wieviel verzweifelte Ohnmacht sich hinter diesem Bild verbirgt, mag man ermessen, wenn man bedenkt, daß sich der Künstler ursprünglich selbst entschlossen hatte, sich einer der ›internationalen Brigaden‹ anzuschließen, um für die Republik zu kämpfen.

Der Kriegsausbruch 1939 und die Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen schnüren die Existenz des Künstlers und damit seine Arbeitsmöglichkeit in zunehmendem Maße ein. 


➜ ➜ ➜ An diesem Bild kann ein Aspekt sehr gut verdeutlicht werden, der in den Vorgaben zum Abitur im Fach Kunst für 2021 ausdrücklich genannt ist:  

»Künstlerisch  gestaltete  Phänomene  als  Konstruktion  von  Wirklichkeit  in  individuellen und gesellschaftlichen Kontexten« sollen behandelt werden.

Im ›Hausengel‹ werden individuelle Erlebnisse visualisiert, die teilweise psychoanalytisch zu verstehen sind [Vogel Lollop als Symbol der Lebensenergie, die bei der Geburt der Schwester vom sterbenden Haustier auf diese übergeht]. Gleichberechtigt daneben stehen gesamtgesellschaftliche Ereignisse, wie der Sieg der Faschisten in Europa und der bevorstehende Weltkrieg.

 

Aufgaben
[für Schülerinnen und Schüler, die Kunst als Abiturfach gewählt haben]:

  1. Lesen Sie sich den obigen Text durch. Überlegen Sie, in welchen Arbeiten von Max Ernst sie bisher Aspekte kennengelernt haben, die sich a) individuell oder b) gesellschaftlich erklären lassen.

  2. Fertigen Sie eine farbige Bildstudie, etwa 30 c 40 cm, an. 
  • Dieses Bild soll in einem deutlich zu erkennenden surrealen Bildmodus angelegt sein, d.h. nicht die reale Alltagswelt soll dargestellt werden, sondern die Welt des Traums und der Fantasie soll der Bezugspunkt sein.
  • Inhaltlich können Sie sich entweder durch individuelle Erlebnisse oder durch gesellschaftliche Vorgänge leiten lassen; eine Mischform wie in dem obigen Ernst-Beispiel ist möglich. Geben Sie stichwortartige Erläuterungen, die diese Bezüge erklären, mit dem Bild ab.
  • Da das Werk von Max Ernst sich vor allem durch hohe Experimentierfreude auszeichnet und er immer wieder auf Mischtechniken zurückgreift, sollte das auch bei Ihnen erste Präferenz sein. Ansonsten sind alle Techniken zugelassen.

Hinweis: Sehen Sie sich die Bilder in den zurückliegenden Posts noch einmal an und lassen sich davon inspirieren. Für beratende Gespräche oder Schriftwechsel stehe ich gerne zur Verfügung.

Fotografieren Sie Ihre Arbeit. Senden Sie mir die Fotos bis zum 28.02.2021 über logineo zu. (Heben Sie Ihre Originalarbeiten auf, bis Sie mir diese zur endgültigen Bewertung über die Schule zukommen lassen können.)