Der Vogel Loplop

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Vogelmotiv

Die Surrealisten beziehen sich in ihren Arbeiten auf den Traum und das Unbewusste. Viele verweisen direkt auf die Psychoanalyse Sigmund Freuds. Auch Max Ernst hat sich eingehend mit dieser beschäftigt. Auf die beständige Gier des Künstlers, etwas Neues zu erfahren und sich mit wissenschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen, wurde schon verwiesen. Häufig sind die Arbeiten von Ernst gespickt mit assoziativen Andeutungen, die sich teilweise auf sein umfassendes Wissen beziehen, manchmal jedoch auch auf ganz private Erlebnisse. Es fällt auf, dass in seinem gesamten Werk immer wieder Vögel zu sehen sind. Wenn Sie sich noch einmal den Post zu seinen Collagen ansehen, werden Sie das bestätigt finden [Link]. Die Kunstwissenschaft kann dieses Vogelmotiv recht gut erklären.

In den Jahren zwischen 1929 und 1939 entstehen vor allem collagierte Grafikfolgen. Hier taucht zum erstenmal im Werk des Künstlers, und zwar in mehreren Bildunterschriften, der Name »Loplop« auf. Loplop ist in den Bildern Akteur, fungiert als eine Art Erzähler und auch als Aufklärer – er versorgt in den Arbeiten z.B. die Lampen von Paris mit Licht. Als »Privatphantom«, wie es Max Ernst selbst einmal genannt hat, tritt das Wesen Loplop in den Arbeiten als Stellvertreter für Max Ernst auf. 

Im Wörterbuch der Surrealisten, dem ›Dictionnaire abrégé du Surréalisme‹ von 1938, wird Max Ernst so vorgestellt: »Der Vogelobre Loplop … Maler, Dichter und Theoretiker des Surrealismus von den Anfängen der Bewegung bis zum heutigen Tag«. Es ist also eindeutig von einer Identifikation mit diesem Vogelwesen zu sprechen. Max Ernst erscheint durch Bildunterschrift oder in Vogelgestalt leibhaftig in seinen Werken.







 

Eine große hochformatige Arbeit ›Menschliche Figur‹ von 1931 gehört beispielsweise zu solchen ›Loplop‹-Darstellungen. Hier sehen wir einerseits eine Gestalt mit teilweise menschlichem Körper. Gleichzeitig sind Formen und Elemente eines fantastischen Mischwesens zu erkennen. Die an den Schultern und an der Hüfte angesetzten lanzettförmigen Blätter verweisen auf das Pflanzenreich. Kopf und narbenförmiges Rückgrat auf der Bauchseite lassen Details einer Stabheuschrecke erkennen und erinnern damit an die Tierwelt. Gleichzeitig können einige der Blätter als Flügel angesehen werden und der Kopf ähnelt dem eines Vogels mit einem langen Schnabel.

Wenn man an afrikanische Skulpturen denkt, kann dieser Schnabel jedoch auch als vom Gesicht bis zu den Knien reichendes männliches Geschlechtsorgan gesehen werden, das Loplop zur Schau stellt. »Pflanzliches, Tierisches und Menschliches verbinden sich in der monumentalen Gestalt zum triumphierenden Wächter über unser Unbewußtes. Loplop als ›Erzengel Michael‹ vor den Toren des Paradieses, vor dem Urwald unserer Vorstellungen, Sehnsüchte und Gefühle.« So kann man in Interpretationen des Werkes lesen.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Doch wie kann man diese Selbstdarstellung als Vogel im Werk von Max Ernst erklären? Was bedeutet der Vogel, der als Loplop oder auch als der Vogelobre Hornebom durch sein gesamtes Werk geistert? Max Ernst führt diese »freiwillige-irrationale Vorstellungs-Vermengung« von Mensch und Vogel auf ein Erlebnis zurück, das er exakt ins Jahr 1906 datiert. Da stirbt sein grüner Kakadu, der vielgeliebte Hornebom. In der gleichen Nacht, Max Ernst ist vierzehn Jahre alt, wird seine jüngste Schwester Loni geboren. Zwei voneinander unabhängige Ereignisse werden in der Phantasie miteinander verknüpft. Es sei, erklärt Max Ernst, »als ob die eben geborene Unschuld, Schwester Loni, sich in ihrer Lebensgier des lieben Vogels Lebenssäfte angeeignet hätte«. Damit bezieht er sich direkt und eindeutig auf Freuds Theorie.

Auch im folgenden Bild ›Die Einkleidung der Braut‹ sind die Bezüge zur Sexualtheorie Freuds unübersehbar. Die nackte Braut wird in eine Art Federmantel gekleidet und trägt möglicherweise eine Vogelhaube. Sie ist von Traumwesen umgeben, einer ebenfalls unbekleideten Brautjungfer, einem gnomenhaften, grünen Hermaphroditen mit vier Brüsten, einem männlichen Glied und dem Bauch einer Schwangeren. Neben diesen Dreien steht eine männliche Wächtergestalt, welche allerdings Flügel und einen Vogelkopf hat. Er trägt einen Speer in der Hand, den er wie einen eregierten Penis vor sich hält. Schaut man genau hin, stellt man fest, dass dieser Speer zerbrochen ist. Die Braut ist zudem auf einem Bild im Bild zu sehen. Ein vielschichtiges Gemälde, das jedoch nicht nur unter Bezug auf seine sexuellen Konnotationen interpretiert wird. Max Ernst lebte zum Zeitpunkt seiner Entstehung als Deutscher in Frankreich und war diesem Land stark verbunden. Deutschland begann einen Krieg, der sich zum II. Weltkrieg entwickeln sollte. Ein Überfall auf die westlichen Nachbarn war absehbar und man fragte sich, wie Frankreich darauf reagieren würde. Max Ernst war sich der Gefahren bewusst und so interpretieren einige Kunstwissenschaftler das Bild als einen Hinweis auf die Gefahren einer möglichen Heirat der französischen Braut mit den deutschen Barbaren.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einige Teile des Bildes sind in einer weiteren von Max Ernst favoritisierten Technik gestaltet, der Décalcomanie. Mit dieser werden wir uns im folgenden Post beschäftigen. Link